Interview mit Nicola Förg zu ihrer Ernennung zur Botschafterin für das Allgäuer Literatur Festival

 

Was macht das Allgäu so inspirierend?

Würde man eine perfekte Landschaft auf dem Reißbrett designen, dann käme etwas heraus, was es schon gibt: das Allgäu. Grüne Weiten, dann eine bucklige Welt aus wogenden Hügeln und Höckern, Tälern und Waldschluchten und am Horizont hohe Felsenberge – damit man nicht aus dem Rahmen fällt. Ich könnte großartige leere Landschaften in Kanada, Norwegen oder Island nennen, aber da fehlt bei aller Magie eine Zutat: Da gibt es keine Biergärten, keine Sennereien, keine Berghütten, keine Schlösser, keine Gässchen oder magischen Kirchen. Das Allgäu ist ein Gesamtpaket, zum Schreiben schön!

 

Was ist für Sie Regionalliteratur?

Beim Wort „Regionalliteratur“ oder vor allem „Regionalkrimi“ zucke ich erst einmal zusammen. Das impliziert immer eine gewisse Herabwürdigung. Ist halt nur regional im Gegensatz zu weltläufigen Texten … Ich bin gar keine Freundin des Begriffs, weil ich finde, jeder Krimi muss irgendwo verortet sein, ob Donna Leon in Venedig oder Wallander in Ystad … und genau genommen ist auch Juli Zeh in Brandenburg regional. Ich plädiere eher für eine positive Konnotation: Regional ist es, wenn die Figuren echt und glaubwürdig sind. Regional meint, dass eine ganz bestimmte Schwingung, ein Zauber über dem Text liegt. Regional meint auch, dass Deutschland, dass Bayern, dass das Allgäu auf der Weltbühne der Geschichten angekommen ist. Es muss ja nicht immer alles an südlichen Stränden, in Skandinavien oder England spielen oder aber in den düsteren Metropolen der Welt.

 

Wie sind Sie selbst damals dazu gekommen, Ihre Krimis quasi vor Ihrer eigenen Haustür anzusiedeln?

Ich habe als Journalistin viele Reiseführer geschrieben und Bildbände betextet. Der Wunsch ein belletristisches Buch zu schreiben, lag nahe. Ich spürte aber kein Verlangen, einen „Frauenroman“ zu schreiben. Aber als der Wunsch vor inzwischen 21 Jahren akuter wurde, gab es keine Krimis, die im Süden der Republik angesiedelt waren. Da ich selbst gerne Krimis – vor allem englische von Martha Grimes und Elisabeth George – gelesen habe, dachte ich mir: Schreib ich eben einen Allgäu-Krimi. Das war nicht abwegig als Reise-Journalistin. Mein erster Allgäu-Krimi „Schussfahrt“ drehte sich auch um das Thema Tourismus, hat also damals schon Kritik geübt. Dass sich heute Tische in den Buchhandlungen unter deutschen und vor allem südlichen Krimis biegen, hätte sich 2002 keiner gedacht. Damals war die Idee, einen Krimi im Allgäu spielen zu lassen, exotisch. Regionalverlage, denen ich das Manuskript angeboten hatte, sagten: „Schreibens doch lieber Heimatgstanzl“. „Schussfahrt“war als der erste Allgäu Krimi überhaupt eine Initialzündung. Heute, wo jede Gemeinde mit mehr als fünfhundert Einwohnern ein eigenes Ermittlerteam hat, mutet das schon komisch an.

 

Und wie stellen Sie das Allgäu in Ihren Büchern dar?

Ich bleibe ein Stück weit immer die Reisejournalistin mit dem Blick für Bilder. Natürlich gibt es in meinen Büchern Beschreibungen, die sich verbeugen vor der Kraft der Landschaft. Und dann sind da die Menschen, die diese Gegend bevölkern. Der Allgäuer geht nicht sofort vehement aus sich heraus, es gibt das schöne Wort „verdruckt“. Aber so eine Landschaft macht nicht gesprächig, auch nicht großspurig! Berge sind Sehnsuchtsorte, Berge machen demütig, Berge bringen aber eben auch ganz eigene Menschen hervor. Viel Licht, aber auch Schatten in engen Tälern und in engen Köpfen. Nicht alles ist gut am Land, aber in einer polemischen Welt voller lauter Schreier ist eine gewisse Zurückhaltung eher sympathisch. Und ich beschreibe Menschen mit einem Augenzwinkern, werde sie nie vorführen.  

 

Was ist Heimat für Sie?

Das ist eine Frage, die einfach klingt und doch so viele Gedanken und Fragen umherwirbelt. Liegt es nur an den Menschen, die man liebt? Braucht man ein paar wenige liebgewonnene Dinge, die Heimat ausmachen? Oder gibt es doch eine nicht greifbare Verbindung zu Landschaften? Je älter ich werde, desto mehr glaube ich an dieses Band zu Landschaften. Ich lebe im Ostallgäu, das wirklich dieses Wort „Bilderbuchlandschaft“ verdient hat. Ich liebe die wilde Waldwelt des Ammergebirges gleich hinter Halblech. Aber meine Seelenlandschaft liegt im Bergstättgebiet oberhalb des Alpsees unterm Hauchenberg. Dort ist meine Heimat, dort gehöre ich hin. Ohne genau begründen zu können, warum das so ist. Aber wir gehen seit Jahrzehnten an Weihnachten immer zur winzigen Lohwegkapelle in der Felsnische, oft durch tiefen Schnee – und zünden eine Kerze an für diese Verbindung.

 

Welche Bedeutung hat das Allgäuer Literatur Festival für Sie als die Botschafterin?

Ich gebe zu: Anfangs dachte ich: Oh je, schon wieder ein Festival. Wollen sie sich denn alle gegenseitig die Zuhörer abgraben? Aber dieses Festival ist anders. Es holt Literatur aus dem städtischen Umfeld aufs Land, und zwar wirklich aufs Land. Lesungen finden nicht nur in den Allgäuer Städten, sondern auch in kleinen Museen, in Freiluftmuseen, auf Berghütten statt. Ich glaube das Festival hat noch viel Potential, kann helfen, dass Literatur noch näher an jene rückt, die eben nicht im S-Bahn Bereich einer Großstadt leben. Es nimmt Schwellenängste, es macht es leicht, auch „große“ Namen einfach mal live zu sehen.